Während meiner Ausbildung zum Psychoanalytiker am C. G. Jung-Institut Stuttgart war Hypnose oder gar Hypnotherapie kein Thema. Als ich meine ersten Schritte in der Hypnotherapie begann, sprangen mich die Möglichkeiten in Kombination mit der analytischen Psychologie förmlich an. Um so mehr verwunderte, dass sich trotz intensiver Recherchen keine deutschen Fachtexte zum Thema fanden. Und das, obwohl in der praktizierenden Hypnoseszene der Name C. G. JUNG immer wieder erwähnt wird. Einige namhafte Hypnotherapeuten waren und sind Jungianer, so zum Beispiel Ernesto Rossi, James Hall und Alfred Cwik.
Geschichte
Historisch überliefert ist, dass S. FREUD bei M. CHARCOT studierte und anfangs glühender Anhänger der Hypnose war (vgl. Hypnose und Psychoanalyse). Weniger bekannt ist, dass auch CARL GUSTAV JUNG scheinbar recht erfolgreich Hypnose einsetzte. Das kann einerseits als Beleg dafür stehen, wie beliebt die klinische Verwendung der Hypnose bei den Ärzten vor über 100 Jahren war.
Die Verwendung der Hypnose war damals sicherlich noch auf einem ganz anderen Stand (vgl. Geschichte der Hypnotherapie). Ähnlich FREUD entschied sich auch JUNG an einem Punkt seiner praktizierenden Tätigkeit dagegen, weiter mit der klassischen Hypnose zu arbeiten. JUNG beschreibt in seinem Buch „Erinnerungen, Träume und Gedanken“ recht eindrücklich eine der dafür verantwortlichen Erfahrungen:
Während einer Vorlesung, wo JUNG etwa 20 Studierenden die Hypnose demonstrieren wollte, behandelte er eine achtundfünfzigjährige Frau. Diese litt seit über 17 Jahre an einer schmerzhaften Lähmung des linken Beines und konnte nur mit Unterstützung an Krücken laufen. Ohne besondere Induktion ging die Frau spontan in tiefe Trance. JUNG versuchte vergeblich, die Frau zu „wecken“, was auf das heilsame Esdaile-Stadium, damals noch als das „hypnotische Koma“ gefürchtet, verweist. Als es ihm gelang, die Frau wieder in das Hier und Jetzt zurück zu holen, warf diese ihre Krücken weg und konnte wieder laufen. Der Effekt dieser Wunderheilung war wider JUNGs Erwartungen nachhaltig. Bei einer weiteren Behandlung ein Jahr später konnte JUNG auch einige der psychodynamischen Hintergründe der Frau besser verstehen.
Doch in der Situation während der Vorlesung musste sich der wohl sehr erschrockene JUNG eingestehen:
„Ich hatte aber nicht die geringste Ahnung, was vor sich gegangen war.“Â (ebd. S. 125)
Selbst heute müssten viele Hypnotisierende dies ehrlicherweise zugeben.
Analytische Psychologie
In der Folge und durch die vertiefte Arbeit mit der noch jungen, freudianischen Psychoanalyse, entwickelte C. G. JUNG die analytische Psychologie. Zentral für die analytische Psychologie ist die Annahme, dass der Mensch auf einem sich selbst erkennenden Individuationsweg ist.
JUNG, als empirischer Wissenschaftler, vermied künftig konsequent hypnotische Fachbegriffe und entwickelte seine eigenen Methoden, z. B. das Assoziationsexperiment, die Amplifikation und die Aktive Imagination. Dieser Artikel kann die reichhaltigen, visionären jung’schen Modelle und Theorien nur ansatzweise skizzieren. Ich konzentriere mich dabei auf für mich und für die Hypnotherapie besonders fruchtbar scheinende Gebiete.
Orientierungsfunktionen
Während C. G. JUNG vor allem für sein differenziertes Modell des Unbewussten bekannt ist, wissen wenige, dass er auch ein ausführlicheres Modell des Bewusstseins, der Persona, des Egos, als Ich-Bewusstsein beschrieben hat. Dabei prägte er die Begriffe Introvertiertheit und Extravertiertheit, welche heutzutage (stark vereinfacht) wiederum in aller Munde sind.
Das Ich-Bewusstsein beinhaltet vier, zwischen innerer und äußerer Welt orientierende Funktionen. Diese vier Orientierungsfunktionen teilen sich auf in zwei Paare. Auf der rationalen, da wertenden Achse, finden sich das Denken (richtig/falsch) und das Fühlen (angenehm/unangenehm). Auf der anderen Achse stehen sich die beiden irrationalen, wahrnehmenden Funktionen gegenüber. Diese sind das Empfinden, die sinnliche Wahrnehmung nach Außen, und die Intuition, die Wahrnehmung nach Innen.
Jede dieser einzelnen Funktionen kann introvertiert, also nach innen gerichtet, oder extravertiert, nach außen gerichtet, sein. Dabei bildet der andere Pol automatisch das Gegenteil. Ist also zum Beispiel das Denken extravertiert, ist das Fühlen introvertiert (vgl. Adam: Therapeutisches Arbeiten mit den Orientierungsfunktionen). Wir haben demnach alle zwei extravertierte Funktionen und zwei introvertierte.
Mit diesem Modell lassen sich nun verschiedene psychologische Typen beschreiben, wie es in verschiedenen Persönlichkeitstests auch gemacht wird, bspw. dem Myer-Briggs-Typindikator (MBTI), der Sozionik oder dem Persönlichkeits-System-Interaktionen (PSI)–Modell von J. KUHL.
Im optimalen Falle sind alle vier Funktionen gleich gut entwickelt. Oft zeigt sich jedoch eine besonders ausgeprägte Funktion und dem gegenüber die minderwertige Funktion.
Das Modell der Orientierungsfunktionen ergänzt bspw. das VAKOG-Modell (welches nur die Empfindungsfunktion beschreibt) und lässt sich sinnvoll für den Rapport, Diagnostik, Behandlung und sogar Prognose verwenden.
Während sich das Ich-Bewusstsein vor allem mit unserem expliziten Wissen beschreiben lässt, finden die für die Hypnose interessanten Phänomene in der Regel im impliziten Wissen des Unbewussten statt.
Das Unbewusste
C. G. JUNG widersprach recht früh der freudianischen Triebtheorie, was unter anderem zum Bruch mit FREUD führte, und entwickelte ein eigenes Modell des Unbewussten. Auch er erkannte schon damals, dass das Ich-Bewusstsein nur einen kleinen Teil des Ganzen ausmachte. JUNG ging zwar auch von dem Begriff der Libido aus, verstand diese jedoch als allgemeine Lebensenergie und nicht als lediglich sexuelle Energie.
Er entwickelte den ersten ressourcenorientierten Blick auf das Unbewusste und unterteilte dieses in drei Bereiche. Der erste und offensichtlichste ist das persönliche, das individuelle Unbewusste, in welchem sich die gemachten Erfahrungen und die sogenannten Komplexe wiederfinden. Einer davon ist bspw. der Schatten, mit seinen nicht gewünschten oder verdrängten Anteile. Mit psychischen An-Teilen arbeitet heute vor allem die Ego-State-Therapie. In der klassischen Psychoanalyse werden diese durch den Abwehrmechanismus der Projektion oft im Gegenüber untergebracht.
Der zweite Bereich ist das kollektive Unbewusste. Dieses entdeckte JUNG dank seiner vielfältigen Kenntnisse und Forschungen über andere Kulturen. Gemeint sind damit allen Menschen gemeinsam innewohnende, psychische Dynamiken. Diese Dynamiken beschrieb er als Archetypen (und damit einem Vorläufer der Schematatherapie). Die archetypischen Grundmuster münden in das individuelle Unbewusste, in die individuell aufgeladenen Komplexen.
Als dritten Bereich beschrieb JUNG das Selbst. Es wirkt wie eine Art Zentrale, koordiniert die unbewussten Prozesse und steuert die Entwicklung. Das Selbst selbst ist eine Metapher, denn natürlich gibt es, um ein zeitgemäßeres Bild zu verwenden, keinen solchen Prozessor in uns. Aktuell wird vielmehr von neuronalen Netzen ausgegangen.
E. YAGER nennt diesen Bereich Zentrum. Im Kundalini-Yoga wird ein solcher Bereich das Überbewusstsein genannt. Bei OMNI wäre dies die Ebene des Ultra-Height. M. SCHWARZ bezieht sich bei seinem Soul and Parts auch auf diesen Bereich und verwendet gar den Begriff der Seele (Soul).
Hypnotherapeutische Verwendung des Modells von C. G. JUNG
Mit diesem skizzierten Bauplan des Unbewussten lässt sich nun hypnotherapeutisch vielfach arbeiten:
- In leichterer, (Alltags-) Trance wird auf der Ebene des Ich-Bewusstseins mit Progression, Sprachmustern und Metaphern gearbeitet.
- Altersregression, Time-Line und Affektbrücke setzen optimalerweise Somnambulismus voraus und arbeiten mit dem individuellen Unbewussten. Ab dieser Trance-Tiefe kann dann auch mit dem kollektiven Unbewussten und mit den (archetypischen) Anteilen gearbeitet werden. Hier finden sich verschiedene gestalttherapeutische und traumatherapeutische Methoden, bspw. der sichere Ort, die Innere-Kind-Arbeit, Stühletherapie, die Arbeit mit inneren Helfern und Krafttieren.
- In tieferer Trance (Esdaile, Sichort-State) kann schliesslich ideomotorisch direkt mit dem Selbst gearbeitet werden.
Enantiodromie
Als ein ursprünglich philosophisches und universelles Prinzip verwendete C. G. JUNG das Prinzip der Enantiodromie, angelehnt an die mechanistische Sichtweise seiner Zeit. Er beschrieb damit die Bewegung der Libido, der seelischen Energie, zwischen zwei Polen. Heute arbeitet die dialektisch behaviorale Therapie (DBT) mit genau diesem Prinzip. (Die in der DBT aus dem Zen entlehnte Achtsamkeitsarbeit arbeitet übrigens mit der Wahrnehmungs-Achse der Orientierungsfunktionen.) Auch bei P. WATZLAWICK, der ebenfalls ein Schüler von JUNG war, findet sich im kommunikationstheoretischen und systemischen Arbeiten dieses Modell wieder. Insbesondere das hypnosystemische Arbeiten verwendet die Frage „Wozu?“ statt dem klassischen psychoanalytischen „Warum?“. JUNG beschrieb dieses „Wozu?“ als den finalen Aspekt.
Psychodynamisch, also als Bewegungen in der Psyche, lassen sich damit die inneren Konflikte darstellen. Besonders schön hat E. ERIKSON die psychosozialen Phasen aufbereitet, bspw. Urmisstrauen vs. Urvertrauen oder Werksinn vs. Minderwertigkeit. In der psychoanalytischen Theorie formuliert aktuell G. RUDOLF in der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD) die bereits von FREUD postulierten Grundkonflikte wie bspw. Individuation und Abhängigkeit, Versorgung und Autarkie. Und auch in der Pädagogik wird mit diesen Prinzipien gearbeitet, bspw. im Balance-Modell von R. WINTER.
In allen Theorien von JUNG findet sich dieses ressourcenorientierte Prinzip wieder. Auf der Ebene des Ich-Bewusstseins findet die Bewegung zwischen Denken und Fühlen, zwischen Intuieren und Empfinden statt. Auf der kollektiven Ebene hat jeder Archetyp einen hilfreichen als auch einen einschränkenden Pol. So kann der Mutter-Archetyp versorgend und nährend sein, aber auch verschlingend und festhaltend. Und selbst der versorgende Anteil kann wiederum polar betrachtet werden, sich zwischen überversorgend und vernachlässigend bewegen.
Das macht vielleicht deutlich, dass moralische Kategorien wie gut und böse der Psyche vordergründig egal sind. Wichtig ist, dass eine Bewegung, ein Fließen zwischen den eigentlich wertneutralen Polen möglich ist. Eine Fixierung auf einem der Pole führt unweigerlich zu einer neurotischen, eingeschränkten Entwicklung. Denn der andere, abgelehnte Anteil wird abgespalten.
In der Hypnose bewegen wir uns zwischen Assoziation und Dissoziation. Und besonders bei der Suche nach Ressourcen ist das Bild der Enantiodromie nützlich.
Arbeit mit Träumen
C. G. JUNG erweiterte die Arbeit mit den Träumen. Während in der öffentlichen Wahrnehmung darunter oft nur die eindimensionale Deutung von Traumsymbolen verstanden wird, gibt es in der Traumarbeit nach C. G. JUNG mindestens acht verschiedene Ebenen. JUNG legte den Fokus auf den Kontext des Traumes. Wenn ein alter Mensch den gleichen Traum wie ein junger Mensch hat, ist eventuell nachvollziehbar, dass ein Traumsymbol nicht dieselbe Bedeutung haben muss.
JUNG geht davon aus, dass sich die Psyche mit den Träumen selbst reguliert. In Schlaflaboren wurde nachgewiesen, dass wir während des gesamten Schlafes über träumen. Sowohl in den REM-Phasen als auch in den Tiefschlafphasen. In der Regel kommt es beim Aufwachen zur Amnesie, zum Vergessen, was auf eine ausgeglichene oder aber auch eine sehr belastete Psyche (dann als Schutzfunktion) hindeuten kann.
Die polare Sichtweise ergänzt auf der Ich-Selbst-Achse die Aufgabe des Traumes als Kompensation von Einstellungen des Ich-Bewusstseins. Denn der „Traummacher“ ist am ehesten der Metatron, also das Sprachrohr, des Selbst.
Die Symbole lassen sich individuell interpretieren, hierfür werden die Assoziationen der träumenden Person verwendet. Sie lassen sich aber eben auch kollektiv verstehen. Dafür können Amplifikationen, also Erweiterungen, evtl. aus Mythologie und Religionen und Kunst, ergänzt werden. Besonders im Gedächtnis bleibende Träume können archetypische Entwicklungsschritte anzeigen. Mit den Erkenntnissen aus der Teile-Arbeit kann sowohl das Traum-Ich als auch jedes andere auftretende Symbol als innerer Anteil betrachtet und interpretiert werden, etc.
Hypnotherapeutisch können Träume im Trance-Zustand weitergeträumt und damit neue Erkenntnisse gewonnen werden. Diese Form des Träumen wird auch luzides Träumen genannt (vgl. P. THOLEY). Insbesondere Leistungssportler* verwenden diese Technik. Und schon die Priester der Ägypter* und die Schamanen der verschiedenen Völker kannten diese Methode der „Seelenreise“.
Arbeit mit Märchen und Mythen
Märchen und Mythen verstand C. G. JUNG als kollektive, überlieferte Beschreibungen (und Lösungen) von psychischen Prozessen. In den Kämpfen der Götter im alten Griechenland oder bei den Germanen werden demnach verschiedene, archetypische Inszenierungen verarbeitet. Die Hauptpersonen der Mythen und Märchen erleben oft magisch und mystisch wirkende Abenteuer, in deren Verlauf sie sich entwickeln. Wahrscheinlich muss nicht erwähnt werden, dass sich die Märchenlogik am bildhaften, impliziten Wissen orientiert, vergleichbar der Traumlogik.
Aus dieser Arbeit heraus entwickelte sich das therapeutische Sandspiel. Während dieser besonders für Kinder geeigneten Therapieform sind die Spielenden oft automatisch in leichter Trance, als einem konzentrierten, fokussierten Zustand und können so Entwicklungsaufgaben bewältigen, Möglichkeiten erproben, oder psychische Themen erweitern und verarbeiten. Die Ergebnisse der expressiven Sandarbeit zeigen, dass hierfür nicht einmal verbale oder nonverbale Kommunikation notwendig ist. Insbesondere wenn Traumatas zu bedrohlich sind, kann so und scheinbar im Außen, an den anstehenden Themen gearbeitet werden. Das Psychodrama arbeitet ebenfalls mit diesem Zustand.
Vor allem die Arbeit mit Metaphern und Geschichten wendet instinktiv und ganz selbstverständlich kollektives Wissen an.
Aktive Imagination
Zuletzt soll noch die von C. G. JUNG entwickelte Aktive Imagination erwähnt werden. Weitere imaginative Verfahren sind bspw. J. SCHULTZ‘ autogenes Training und H. LEUNER’s kathathymes Bilderleben. Im weiteren Sinne bauen V. FRANKL’s Logotherapie und A. LAZARUS Innenbilder ebenfalls darauf auf. Und auch S. MOSIMANN’s mindTV bezeichnet sich als Imaginationsverfahren, der Arbeit mit inneren Bildern.
Letztendlich sind dieses alles mehr oder weniger strukturierte hypnotische Techniken, welche ich in eigenen Beiträgen beschreibe.
Fazit
Ich hoffe, mit diesem Text einen Einblick in die Arbeit mit der analytischen Psychologie von C. G. JUNG ermöglicht zu haben. Ich habe klassische psychoanalytische Themenfelder wie die Arbeit mit Übertragung und Gegenübertragung ausgelassen, diese werden im Beitrag Hypnose und Psychoanalyse dargestellt.
Das hypnotherapeutische Potential scheint mir noch lange nicht ausgeschöpft. Insbesondere die Aktive Imagination profitiert, wenn sie bewusster als hypnotherapeutische Methode verstanden und verwendet wird. Aber auch in allen anderen hier beschriebenen Bereichen finden sich sinnvolle Verknüpfungen, ergänzen sich die Theorien, Modelle und Methoden.
(Imagebild: Wikipedia)