Hypnose als Kassenleistung

Immer wieder lese und höre ich davon, dass Hypnose von den gesetzlichen Krankenkassen finanziert und als Kassenleistung anerkannt werden soll. In diesem Beitrag nehme ich mich dieses Themenkomplexes an und stelle die damit verbundenen Strukturen für Deutschland dar.

Für die Anerkennung werden in der Regel zwei Gründe angeführt.

  1. Hypnose sei ein besonders effizientes Verfahren.
  2. Die Kosten einer Behandlung mit Hypnose müssen derzeit privat bezahlt werden.

Was Viele vielleicht nicht wissen: Hypnose ist bereits als Kassenleistung abrechenbar. Allerdings nicht als eigenständiges Psychotherapie-Verfahren, sondern als sogenanntes Suggestives Verfahren.

Wer kann dies abrechnen, warum ist das so und wie kann dies evtl. verändert werden?

Das sozialrechtliche System in Deutschland

Das Sozialrecht ist direkt aus dem Grundgesetz abgeleitet. Es regelt die Ansprüche der Bürger* in Deutschland für ein menschenwürdiges Leben, wenn diese nicht (mehr) in der Lage sind, dies selbstständig zu schaffen. Das Sozialrecht ist sehr weit ausdifferenziert und regelt unter anderem die Fürsorgepflichten des Staates. Finanziert wird es durch die Sozialversicherung (vgl. Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht).

Im Rahmen der darunter fallenden Leistungen, welche die gesetzlichen Krankenkassen finanzieren, gehört Hypnosetherapie zu den psychotherapeutischen Verfahren innerhalb der fachärztlichen Versorgung. Die Krankenversicherung hat für diese Versorgung ein eigenes Gesetzbuch, das Sozialgesetzbuch V. (Es lohnt sich grundsätzlich, einmal durch die Sozialgesetzbücher zu blättern.)

Aus dem SGB V ergeben sich sowohl die Leistungen, welche die Krankenversicherung übernimmt, als auch die Anforderungen. Und hier kommt bereits die erste Schwierigkeit für viele Hypnotherapeut*en.

Anforderungen

§95 SGB V regelt, wer grundsätzlich zur Leistungserbringung berechtigt ist. In der Regel sind dies die sogenannten Vertragsärzte. Diese sind universitär ausgebildet, haben eine Approbation und sind damit bestallt durch ein Regierungspräsidium (Bestallung = Amtseinsetzung).

Ende 2016 hat ein Beschluss des Bundessozialgerichtes endgültig Heilpraktiker (mit oder ohne sektorale Zulassung für Psychotherapie) von der gesetzlichen Leistungserbringung ausgeschlossen.

Die staatlich reglementierte Ausbildung und die vertragsärztlichen Pflichten stellen eine gewisse Qualität sicher. Zu den ärztlichen Pflichten gehören zum Beispiel neben dem „primum non nocere“ (erstens, nicht schaden), die Gleichbehandlung aller Menschen, der Fokus auf die Befähigung zur Autonomie der Pat. und die ärztliche Schweigepflicht. Diese sind in den länderspezifischen Berufsordnungen und strafrechtlich verankert.

Ãœbernahme von Leistungen

Im SGB V sind ein paar wesentliche, vor allem marktwirtschaftlich relevante Prinzipien ergänzt:

Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§12 (1) SGB V).

Welche Leistungen diese Vorgaben wie erfüllen, regelt der Bundesmantelvertrag der Ärzte und detaillierter für die gesetzlichen Krankenkassen der Einheitliche Bewertungsmassstab (EBM). Dort finden sich unter der Abrechnungs-Nummer 35120 eingangs erwähnte Suggestive Verfahren. Diese Nummer liegt mit derzeit 61,80 €/Stunde deutlich unter dem Stundensatz für eine Stunde Psychotherapie mit aktuell 89,60 €. Interessant ist auch, dass die Verwendung in psychodynamischen Verfahren dezidiert ausgeschlossen wird.

Dies liegt daran, dass Hypnose als suggestives, übendes Verfahren (miss-) verstanden und den Entspannungsverfahren zugeordnet wird. Klassisch psychodynamische Methoden, wie die freie Assoziation, die Regression, und spezifischer die „Aktive Imagination“ oder das „Katathyme Bilderleben“, welche ebenfalls als hypnotisch verstehbar wären, werden nicht beachtet (vgl. Hypnose und Psychoanalyse, Hypnose als Technik).

Grundlagen der Bezahlung

Die Krankenkassen haben durchaus ein großes Interesse daran, die Kosten weiter zu reduzieren. Viele Krankenkassen fördern Kurzzeittherapien, indem bspw. die ersten Stunden höher vergütet oder die Anträge für diese vereinfacht werden.

Der aktuelle Stundenlohn für eine Psychotherapie ist ein Ergebnis aus jahrzehntelangen Verhandlungen und der Orientierung an einem universitären Abschluss in Verbindung mit der Approbation.

Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass für eine weniger hochwertige Ausbildung der gleiche Stundensatz gezahlt wird. Sollte Hypnose also von den Krankenkassen ohne vergleichbare Ausbildung anerkannt werden, könnte die Entlohnung eher mit den Leistungen für Ergotherapie oder Logopädie verglichen werden, die in etwa bei 40-50 €/Stunde liegen.

Wieviel eine Leistung wert ist, wird vom Bewertungsausschuss bestimmt und laufend angepasst. Für die meisten Leistungen, welche die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen müssen, gibt es in der Regel bereits feste, sogenannte Budgets. (Psychotherapie wird im Augenblick extrabudgetär verrechnet. Die nächste Überprüfung, ob das weiterhin so bleibt, findet 2019 statt.)

Budgets bedeuten, dass es einen Topf und damit auch einen Deckel gibt, wieviel Geld für bestimmte Leistungen ausgegeben werden dürfen. Entsprechend schwierig ist es, „neue“ Arzneimittel oder Verfahren zu positionieren. Denn in der Praxis bedeutet dies oft lediglich ein Umverteilen von bereits stark umkämpften Geldern im System.

Ãœber das Einbringen von neuen Verfahren oder Leistungen entscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA). Dieser versteht sich als „oberste[s] Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland“ (ebd.).

Dass der GBA aus Vertreter*n von etablierten Verfahren bestehen, dürfte nachvollziehbar sein. Auch ist der Stellenwert der Psychotherapie allgemein in der ärztlichen Landschaft sowohl das Einkommen betreffend, als auch von der Anerkennung her nach wie vor ein eher untergeordneter.

Wissenschaftlicher Beirat Psychotherapie

Bezüglich der Anerkennung neuer Psychotherapie-Verfahren schliesslich bezieht sich der GBA auf den Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie (WBP). Dieser überprüft auf Anfrage, ob ein Verfahren wissenschaftlich fundiert ist. Hypnose hat 2006 die wissenschaftliche Anerkennung bekommen, jedoch nur für einen Bereich  und nicht als Empfehlung für eine eigenständige Ausbildung oder gar als Richtlinienverfahren.

Der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie stellt zusammenfassend fest, dass die Hypnotherapie bei Erwachsenen für Behandlungen in folgenden Anwendungsbereichen als wissenschaftlich anerkannt gelten kann: Psychische und soziale Faktoren bei somatischen Krankheiten sowie Abhängigkeit und Missbrauch (Belege liegen lediglich für Raucherentwöhnung und Methadonentzug vor).

Die Hypnotherapie kann nicht als Verfahren für die vertiefte Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten entsprechend § 1 Abs. 1 der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Psychologische Psychotherapeuten empfohlen werden, da sie nicht für die geforderte Mindestzahl von fünf der 12 Anwendungsbereiche der Psychotherapie bei Erwachsenen des Wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie bzw. für mindestens vier der acht klassischen Anwendungsbereiche als wissenschaftlich anerkannt gelten kann.

Bei Kindern und Jugendlichen kann für keinen Anwendungsbereich der Psychotherapie die wissenschaftliche Anerkennung festgestellt werden. Die kurzfristige Wirksamkeit der Hypnotherapie bei Kindern und Jugendlichen zur besseren Bewältigung von Chemotherapien bei Krebserkrankungen und weiteren belastenden medizinischen Interventionen ist jedoch belegt.“ (vgl. WBP)

Wie schwierig eine wissenschaftliche Anerkennung als Psychotherapie-Verfahren ist, zeigt sich bspw. daran, dass die Studien zur ehemals breiter etablierten Gesprächstherapie als humanistischem Verfahren erneut nicht ausreichten. Ein Grund ist, dass aktuell die Lehrstühle in Psychologie (und damit die Forschungen) zu nahezu 100% in Händen der Verhaltenstherapie sind (vgl. EBERWEIN). EBERWEIN hat auch sehr zutreffend über die weltweit einzigartige Doppelhürde der sozialrechtlichen Anerkennung geschrieben.

Die systemische Therapie hat es 2008 geschafft, die wissenschaftliche Anerkennung als Psychotherapie-Verfahren zu bekommen. Der Antrag zur sozialrechtlichen Anerkennung wurde beim GBA wurde eingereicht, eine Entscheidung (und damit die Übernahme in den Leistungskatalog durch die Krankenkassen) steht heute, zehn Jahre später, noch aus.

… endlich anerkannt?!

Von der sozialrechtlichen Anerkennung wiederum werden nur die (systemischen) Therapeut*en profitieren, welche eine Approbation haben.

Es gibt inzwischen immerhin vier systemische Institute, welche diese ermöglichen. Das heisst, dass diese Institute eine Ausbildung anbieten, welche den Vorgaben der Regierungspräsidien genügt. Aktuell bedeutet dies eine Ausbildungsdauer von 4200 Stunden, wovon bspw. 1800 Stunden als praktische Tätigkeit in einer Klinik abzuleisten sind (vgl. Curriculum Gesellschaft Systemische Therapie und Beratung).

Diese Klinikzeit, in der Regel 1,5 Jahre, ist für Psychotherapeut*en in Ausbildung oft der schwierigste Teil. Für die wenigen Praktikumsstellen gibt es heiß umkämpfte Kooperationsverträge zwischen den etablierten Ausbildungsinstituten und Kliniken. In der Regel gibt es wenig bis keinen Lohn. Und diese Tätigkeit setzt einen universitären Abschluss in Psychologie oder/und (bei der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie) in Pädagogik voraus.

Um anschliessend in der Leistungserbringung als Vertragsarzt zu arbeiten, benötigt  es dann noch eine Niederlassung. Denn die Anzahl der Praxissitze ist begrenzt. In vielen Regierungsbezirken werden die bspw. durch Rente frei werdenden Sitze nach Fachkunde nachbesetzt, in den anderen nach Wartezeit nach dem Erwerb der Approbation.

Die systemischen Therapeut*en werden es insbesondere in Grossstädten schwierig haben, Fuss zu fassen. Die alternative Praxis der Kostenerstattung ist für die gesetzlichen Krankenkassen (für Approbierte) aktuell sehr erschwert. Und ein Praxissitz muss bereits jetzt – je nach Lage – mit 40.000 – 120.00 € „gekauft“ werden.

Sollte die Hypnosetherapie diesen Weg gehen, stände ihr wahrscheinlich dasselbe bevor.

Zusammenfassung

Was bedeutet dies nun für die Hypnose?

  1. Hypnose sei ein besonders effizientes Verfahren.

Um dies zu belegen müsste weiter Grundlagenforschung betrieben werden. Aktuell werden größtenteils nur RCT-Studien (randomisiert kontrollierte Studien) als „Gold-Standard“ angesehen. Es benötigt weitere solcher Studien, um in fünf der zwölf psychotherapeutischen Anwendungsgebieten die wissenschaftliche Anerkennung zu bekommen.

Erst damit hätte die Hypnose überhaupt die Möglichkeit, im GBA sozialrechtlich anerkannt zu werden.

Dies ist nur mit starken Dachverbänden und engagierten Mitgliedern möglich, die bspw. Studien bezahlen und berufspolitische Lobbyarbeit auf professionellem Niveau betreiben.

2. Die Kosten einer Behandlung mit Hypnose müssen derzeit privat bezahlt werden.

Um den aktuellen von den Krankenkassen akzeptierten psychotherapeutischen Stundensatz zu halten (es gibt viele Hypnosetherapeuten, die bereits heute einen deutlich höheren Stundensatz haben) benötigt es zwingend eine universitäre Ausbildung und die Approbation.

Dazu müsste ein eigener Ausbildungsgang erstellt und damit Hypnosetherapie als eigenständiger, freier Beruf, staatlich anerkannt (und reglementiert) etabliert werden.

Alternativ kann akzeptiert werden, dass Hypnosetherapie in einer berufs- und sozialrechtlichen Nische ihren Platz hat und selbst finanziert oder ergänzend im Rahmen eines Richtlinienverfahrens verwendet wird. Dies hat durchaus auch Vorteile, bspw. motiviertere Behandlungen. (Auch hierzu wären Forschungen spannend!)

Da Hypnosetherapie gerade einen Aufschwung und eine Zunahme an Behandelnden erlebt, ist es auch vorstellbar, dass sich die Preise dem „Markt“ anpassen.